In der Wintersession 2024 setzte sich die finanzpolitische Rigidität einmal mehr durch – ohne Not. Wegen 0.1% des Budgets wurden wichtige Projekte im Nachhinein abgeschossen.

Die grundsätzliche Differenz im Rat bestand in der Ansicht, wie gesund die Berner Finanzen sind. Die Ansicht teilte der Rat: SP-Grüne-EVP auf der einen, GLP-Mitte-FDP-SVP-EDU – und damit der Parlamentsmehrheit – auf der anderen.

Meine Analyse auf Grund der Zahlen: die Berner Finanzen sind so gesund wie schon lange nicht mehr: Steuersenkungen sind umgesetzt, beschlossen und weitere geplant. Der Kanton rechnet mit hohen Überschüssen. Die Bruttoschulden nehmen ab (sie liegen bei 6 Mrd. CHF oder 6.7% des BIP), der Zinsbelastungsanteil liegt bei tiefen 0.3% (relativ zum Gesamtertrag von 13 Mrd. CHF). Die Steuern sind höher als bei Nachbarkantonen – aber im Vergleich mit anderen Westeuropäischen oder Nordamerikanischen Ländern tief. Die neuste Benchmarkanalyse zeigt: Der Kanton Bern gibt nicht zu viel Geld aus – für ein durchschnittliches Angebot muss er höhere Steuern als andere Kantone erheben.

Neben der rigiden Berner Schuldenbremse wurde eine zusätzliche Grenze für die Investitionsplanung definiert: die theoretische Neuverschuldung. Diese soll nach der Ratsrechten auf 500 Mio. CHF begrenzt werden. Die höhere Grenze von 800 Mio. CHF, die vom bürgerlichen Regierungsrat im Rahmen der Investitionspriorisierung vorgeschlagen wurde, wurde von den Bürgerlichen im Parlament mit dem Argument der Schuldenwirtschaft abgelehnt, obwohl diese keine merkbaren Auswirkungen für die Finanzen gehabt hätte (diese Variante hätte das Budget und den Finanzplan um 0.1% belastet).
Auf Grund einer hypothetischen und theoretischen Grenze wurden viele bereits beschlossene Projekte abgeschossen, die das Resultat von lang erkämpften Kompromissen war. Finanzpolitik schlägt Sachpolitik. Die abgeschossenen Projekte waren inhaltlich durchaus unterschiedlich zu beurteilen. Die Politik des Kantons Bern verliert aber seine Glaubwürdigkeit, wenn Kompromiss-Entscheide im Nachhinein aufgehoben werden. Die Glaubwürdigkeit und der regionale Zusammenhalt wurden wegen 0.1% des Budgets geopfert.

Das Argument der Rechten, dass heute die finanzielle Situation derart anders (und schlechter) sei als zum Zeitpunkt der Entscheide, ist nicht nachvollziehbar. Die Finanzen sind heute gesünder.

Der neoliberale Geist der 80er Jahre sitzt immer noch tief in den Köpfen der Bürgerlichen und der GLP (der Staat ist das Problem, nicht die Lösung; Steuern sind Diebstahl und bestrafen die Tüchtigen). Dass dieser Geist immer mehr die Zukunft des Kantons, der Schweiz und der Welt bedroht (Stichworte: Sozialer Zusammenhalt, Gefährdung der Demokratie, Klimawandel), wird nicht wahrgenommen.

Wie Daniel Binswanger in der Kolumne am 7.12.24 richtig schreibt: „Der liberale Rechtsstaat braucht mehr Umverteilung – oder er droht vom illiberalen Autoritarismus ausser Gefecht gesetzt zu werden. Auch rechts­bürgerliche Kräfte, sofern sie mit Liberalismus noch irgendetwas am Hut haben, sollten sich irgendwann zu dieser Erkenntnis durchringen. Oder sie müssen sich mit dem Autoritarismus arrangieren.“ Die rechtsbürgerlichen Kräfte im Grossen Rat sind noch weit von dieser Erkenntnis entfernt.

Genauso durchmarschiert wurde bei Tempo-30: Sie ist eine effiziente Massnahme zur Erhöhung der Sicherheit und Reduktion des Strassenlärms. Trotzdem soll diese nun nicht mehr auf verkehrsorientierten Strassen eingeführt werden dürfen. Für die rechts-bürgerliche Mehrheit scheinen 10 Sekunden Zeitgewinn wichtiger zu sein als die Gesundheit der Bevölkerung.

Auf nationaler Ebene konnte der rechts-bürgerliche Übermut mittels Abstimmungen gekühlt werden (z.B. bei der Ablehnung des Autobahnausbaus). Auf kantonaler Stufe ist das schwieriger. Aber die Zeit für eine Korrektur wird kommen.